Ein Modellquartier für die Zukunft: die Christiani Wiesen

Wie wollen und können wir zukünftig leben? Wie sehen die nach­haltigen Konstanzer Quar­tiere der Zukunft aus? Um erste konzept­ionelle Antworten auf diese Fragen zu finden, fand eine drei­tägige Akteurs­gruppen- und Planer­werks­tatt vom 18. bis 20. April 2018 in der HTWG statt. Zentrales Ele­ment war hier der digi­tale und inter­diszip­linäre Werkzeug­koffer, der auf stu­dentischen Arbeiten der HTWG und Univer­sität Konstanz basiert. Die aus ihm hervor­gehenden Para­meter und Rahmen­bedingungen für Konstanzer Quar­tiere der Zukunft, sollten im Rahmen der dreitägigen Werk­statt präzisiert, sowie anschließend in Form von ersten städte­baulichen Konzepten am Beispiel der Chris­tiani-Wiesen erprobt werden.

Der Werkzeugkoffer: ein innovatives Stadtplanungsinstrument 
Zur Eröffnung des ersten Tages, der ganz im Zeichen der Planer und Akteure stand, skizzierte Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn die Herausforderungen des Projekts. Konstanz verzeichnet ein starkes Bevölkerungswachstum. Um die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zu befriedigen, müssen die knappen städtischen Flächenressourcen deshalb besonders effizient genutzt werden. Mit der Verabschiedung des Handlungsprogramm Wohnen durch den Gemeinderat hat die Stadt das Thema 2014 offensiv angegangen. Konstanz soll attraktive, nachhaltige Stadtquartiere bekommen, die sozial durchmischt sind. „Die Zukunftsstadt ist dabei unser innovativstes Projekt“, unterstrich Karl Langensteiner-Schönborn. Mit ihr soll ein Planungsmodell unter dem Motto „Smart wachsen - Qualität statt Quadratmeter“ entstehen, das auf alle 44 ausgewiesenen Flächen im Handlungsprogramm Wohnen übertragbar ist. 

Öffentliche Abendveranstaltung - Begrüßung und Einführung »Zukunftsstadt« durch Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn. © Chris Danneffel



Grundlage des Modells ist dabei der so genannte Werkzeugkoffer. 19 Fachgebiete der Universität und der HTWG haben in ihm Kriterien für eine nachhaltige, effiziente und soziale Stadtplanung zusammengefasst. „Da die HTWG einen ‚Wiki‘ daraus gemacht hat, ist es ein lebendiges Instrumentarium, das ständig erweitert werden kann und somit aktuell bleibt“, lobte der Baubürgermeister. Für Lukas Esper, Projektleiter der Zukunftsstadt, war es besonders wichtig, dass die Bürger von Anfang an stark mit eingebunden werden. „Damit machen wir die Planung nachvollziehbar und sorgen für eine größere Akzeptanz.“

Wichtige Kriterien der Quartiersplanung
Christopher Klages von der HTWG gab für die Akteure und Planer eine Einführung in die Systematik des Werkzeugkoffers, der eine beeindruckende Informationsdichte aufweist. Biodiversität, Flächeneffizienz, Smart Infrastructure, Barrierefreiheit, Umweltrisiken, Gewässer- und Bodenschutz - nur ein paar Beispiele für die verschiedenen Bedürfnisse und Themen, die bei der Stadtplanung auftauchen, und die der Werkzeugkoffer abbildet.  „Der Werkzeugkoffer soll es auch erleichtern, sich in andere Rollen hineinzuversetzen, so zum Beispiel in die der städtischen Planer und anderer Akteure und so Verständnis für ihre Prioritäten wecken,“ erklärte Klages. 
Akteure wie zum Beispiel Baugruppen, der BUND, Soziologen und auch städtische Planer waren von der Stadt eingeladen worden, den Werkzeugkoffer durch ihre Erfahrungen und Perspektiven zu ergänzen. Rund 50 Interessierte und Planer diskutierten am Vormittag, welche fünf Kriterien sie für die Stadtentwicklung am wichtigsten hielten und ergänzten inhaltlich den Werkzeugkoffer. Aufgeteilt waren die Gruppen in die Bereiche Planung, Raum und Stadt, Umwelt und Freiraum, Mobilität, Energie und Technik, Projektentwicklung und Baugruppen sowie Nutzer und Partizipation. 

Drei Planungsteams arbeiten Konzepte aus
Mit dabei waren die drei Planungsteams Pool aus Zürich, Feld 42 aus Wien und Bogevischs Büro aus München. Ihre Aufgabe: mit dem Feedback der Akteure und dem Werkzeugkoffer ein städtebauliches Konzept für das neu entstehende Quartier auf den Christiani Wiesen zu entwickeln. „Es ist ein sensibler und besonderer Ort, für den wir auch eine besonders qualitätsvolle Bebauung wünschen“, sagte Karl Langensteiner-Schönborn. Zu diesem Zweck fand nachmittags eine Begehung des Geländes statt. Diese Eindrücke des ersten Tages nahmen die Architekten und Landschaftsplaner mit in die nächsten zwei Tage der Akteurs- und Planerwerkstatt. 

© Stadt Konstanz | Chris Danneffel



Bürger konnten den Planern über die Schulter schauen
An Tag zwei und drei hatten Bürger die Möglichkeit, den Planungsteams bei der Konzeptentwicklung über die Schulter zu blicken. Diese Gelegenheit ergriffen viele Interessierte sehr intensiv, um sich über neue Formen und Ideen des Zusammenlebens zu informieren oder auch ganz konkret Punkte anzusprechen wie Mobilität, Infrastruktur oder soziale Durchmischung. Spannend war für die Anwesenden besonders, den kreativen Prozess im Entstehen zu erleben und die unterschiedlichen Herangehensweisen der Planerteams. Cluster-Wohnen, E-Mobilität, Energiegewinnung, Shared Economy, Dichte und Flächeneffizienz, Schutz des vorhandenen Biotops – die Vielfalt der Themen und Rahmenbedingungen verarbeiteten die Planerteams zu ersten Entwürfen. Diese wurden am zweiten Abend auf einer kleinen Führung von Büro zu Büro Interessierten vorgestellt.

Abschlusspräsentation und Bürgerfragen
Während des dritten Tages der Akteurs- und Planerwerkstatt feilten die drei Planerteams an ihren Entwürfen für die Christiani Wiesen, die sie abends öffentlich vor rund 80 Personen präsentierten. Karl Langensteiner-Schönborn betonte in seiner Einführung, wie wichtig der Stadt die soziale Durchmischung ist, um keine Brennpunkte entstehen zu lassen. „Aber wir müssen uns auch um die Mitte der Gesellschaft kümmern und ihnen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stellen.“ 7900 Wohnungen sollen nach dem Handlungsprogramm Wohnen entstehen. Dafür brauche es Konzepte, die weiter in die Zukunft reichen. So gibt es Möglichkeiten, den individuellen Quadratmeterverbrauch durch Kompensationsangebote wie Gemeinschaftsräume zu senken. Auch ökonomisch rechnen sich Car-Sharing oder gemeinsame Büroräume.

Lukas Esper stellte nochmals die Aufgaben an die Planer vor, die das Projekt Zukunftsstadt vorsieht: Nachhaltiger und angemessener Städtebau, soziale Vielfalt im Quartier, nachhaltige Energie und Mobilität schaffen sowie Freiräume bieten. „Die Christiani Wiesen sind ein sensibler Ort aufgrund seiner Lage in einem Naherholungsgebiet, aber genau deswegen gut geeignet, um ein Modell für nachhaltige Quartiersentwicklung zu sein.“ Im Anschluss präsentierten die drei Planerteams ihre ersten Entwürfe.

Drei Planerteams – drei unterschiedliche Ansätze
Bogevischs Büro stellte das Biotop auf den Christiani Wiesen in den Mittelpunkt seines Konzepts. Um diese öffentliche Mitte gruppieren sich verschiedene drei- bis fünfstöckige Häuser, die rund 150 Wohneinheiten bieten. Sie sollen sich harmonisch in die umgebende Villensiedlung einfügen und einladend sein. E-Mobilität steht im Mittelpunkt mit Car-Sharing etc. Das flächeneffiziente Bauen sieht Kompensationen der verminderten Wohnungsgröße durch gemeinsam genutzte Flächen und Räume vor. 

Feld 42, die Planergruppe aus Wien, stellten die Christiani Wiesen in den Kontext des Stadtgebietes Petershausen. Ihre Vision heißt „Urbanes Dorf“. Ein Vorplatz leitet die Besucher, auch hier werden Wohn-Cluster geplant. Eine Nord-Südverbindung mit Freiraumtaschen soll das Areal prägen. Naturräume sollen sich nahtlos an die Wohn-Cluster anschließen, die Hightechfassaden aufweisen.  Auch hier wird so autofrei wie möglich geplant und auf gemeinschaftliche Nutzung von Raum gesetzt. Das Motto heißt: Sharing & Caring. 

Für das Planerteam Pool aus Zürich ist die Identität wichtig, die das neue Quartier entwickeln soll. Mit „Perlen im Park“ umschreibt Pool das Konzept. Im Mittelpunkt stehen Nutzungsvielfalt für die Bewohner und Besucher und großzügige Freiräume. Weite Sichtachsen zur umgebenden Landschaft öffnen die drei Wohn-Cluster und verweben sie gleichzeitig mit der Landschaft. Unterschiedliche Plätze schaffen Begegnungsorte und somit auch Zugehörigkeiten. Ein kompakter ökologischer Fußabdruck wird angestrebt und viele gemeinschaftliche Nutzungen der Plätze und Räume. Denkbar wäre hier ein Quartiersplatz mit einem Café, Hofladen etc. 




Lob und Kritik
Alle drei Planerteams erhielten viel positiven Zuspruch für ihre Konzepte durch das Publikum. Die vielfältige Bürgerbeteiligung bei der Zukunftsstadt wurde durch die Zuhörer sehr gelobt. Allerdings gab es auch Kritik. Vor allem anwesende Anwohner der Christiani Wiesen sahen bei den Entwürfen einen zu geringen Bezug zur Nachbarschaft und zur Verkehrsproblematik. Der Zufahrtsweg zur Therme und zum Hörnle führt direkt an den Christiani Wiesen vorbei, die Parksituation ist oft schwierig. „Wieviel Menschen verträgt das Gebiet und ist eine soziale Durchmischung aufgrund fehlender Infrastruktur auf diesem Areal überhaupt möglich?“ Diese und andere Fragen gingen zurück an die Planer. Gäste konnten weitere Anregungen an eine Pinnwand anfügen.

Das direkte und ungeschminkte Feedback von Akteuren und Bürgern an die Planungsteams zeichnete für Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn das Projekt Zukunftsstadt aus: „Wir wachsen an Kritik. Unser Ziel ist es, Quartiere zu entwickeln, die einen größeren Mehrwert haben, als sie davor hatten. Jedes Quartier wird individuell geplant und soll den Menschen bezahlbaren Wohnraum bei hoher Qualität und Nachhaltigkeit bieten. Dafür schaffen wir mit dem Werkzeugkoffer das geeignete Instrumentarium, das idealerweise auch von anderen Kommunen übernommen wird.“


Öffentliche Jurysitzung am 5. Juni 2018: Jury wählt deutsch-österreichisches Konzept für die Christiani Wiesen

Lukas Esper, Gerko Schröder von Treibhaus Landschafts­architektur, Michael Obrist von feld 72 und Bürger­meister Karl Langen­steiner-Schön­born (v.l.) präsentieren den Sieger­entwurf. © Stadt Konstanz | Chris Danneffel


 In der öffent­lichen Sitzung vom 5. Juni 2018 hat sich eine Jury, bestehend aus Profes­soren und Dozenten der Konstanzer Hoch­schulen, aus Politikern und weiteren Fach­leuten, für die Entwürfe der Archi­tekten des Wiener Büros feld72 und der Landschafts­architekten Treibhaus aus Hamburg entschieden. Begründung war unter anderem, dass dieser Entwurf die Vorteile der beiden anderen eingereichten Projekte in sich vereint: Einerseits ist er sehr offen, aber gleichzeitig durch die gemein­same Mitte räumlich am flexibel­sten. Die Jury empfand den Entwurf als die zukunfts­fähigste Arbeit, der sich dabei harmonisch in die vor­handenen Gegeben­heiten einfügt.

Bürger und Akteure konnten sich mit in die Diskussion einbringen. Die Entwürfe sollen Grund­lage für die Bewerbung zur Phase III Zukunfts­stadt und für die weitere Entwicklung des Modell­quartiers sein. Insgesamt drei Planer­teams hatten im April 2018 an einer drei­tägigen Akteurs- und Planer­werkstatt zur städte­baulichen Ent­wicklung der Christ­iani Wiesen teil­genommen, bei denen sich auch Bürger betei­ligen konnten. Danach konnten die Teams drei Wochen lang ihre Konzepte mit den Ideen und Empfeh­lungen der Akteure und Bürger weiter über­arbeiten. 

Interessierte Bürger­innen und Bürger können die Arbeiten der drei Planer­teams ab sofort im Bürger­büro, im 6. OG, in einer Ausstellung in Augenschein nehmen.