Denkmalpflege, Ökologie, Klimaschutz
Qualitäten und Potenziale der Konstanzer Altstadt
Ein wesentlicher Schlüssel zur Reduktion der CO2-Emissionen liegt im Gebäudesektor. Angesichts des geringen Anteils von Neubauten, die laut dem Deutschen Institut für Urbanistik bis 2030 nur 8 % der gebauten Umwelt ausmachen werden, wird die Bedeutung der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes auf dem Weg zur Klimaneutralität offensichtlich. Die Einordnung der Denkmalpflege für die Bekämpfung des Klimawandels lässt sich anhand der zahlenmäßigen Relation ableiten, wonach 3 % des Bestandes deutschlandweit denkmalgeschützt sind. Ungeachtet dessen leistet praktizierte Denkmalpflege a priori einen Beitrag zum Klimaschutz – dies lässt sich exemplarisch an der gesamthaft geschützten Konstanzer Altstadt veranschaulichen.
Nachhaltige Altstadt
Nicht die äußerlichen Insignien der Energiewende – das Wärmedämmverbundsystem an der Fassade und die konventionelle PV-Anlage auf dem Dach –, aber andere Merkmale machen die Altstadt zum nachhaltigen Stadtquartier. Da ist zum einen die Kompaktheit des Stadtgrundrisses, die Abfolge eng aneinandergebauter Häuser zu geschlossenen Hausreihen, welche zu einem weit geringeren außenluftberührten Hüllflächenanteil führen, als bei freistehenden Häusern. Die bauliche Dichte erlaubt in Verbindung mit der Nutzungsstruktur zugleich kurze Wege. Und da ist zum anderen die auf Reparaturfähigkeit angelegte Bauweise, die Verwendung natürlicher Baumaterialien, welche zu funktionaler Anpassungsfähigkeit sowie entsprechend langen Lebenszyklen führen und sich folglich in guten Ökobilanzen niederschlagen. Gerade die Anpassungsfähigkeit der Baudenkmale erlaubt zusätzliche energetische Verbesserungen und wenigstens die Annäherung an moderne Normen. Selbstverständlich reicht es für heutige Wohnstandards nicht mehr aus, die „gute Stube“, die bereits im Mittelalter mitunter wärmegedämmt war, zu beheizen, und so umfasst letztlich jede Denkmalsanierung in unseren Tagen auch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz. Diese Maßnahmen sind dann gleichermaßen denkmal- wie klimagerecht, wenn sie aus den Bedingungen des Bestandes abgeleitet sind, d.h. konkret, wenn sie die Substanz erhalten und die bereits vorhandenen Nachhaltigkeitskriterien des Wohnens und Arbeitens in der „alten Stadt“ weiter stärken. Im Folgenden werden exemplarisch Gesamtsanierungen dreier denkmalgeschützter, im Kern mittelalterlicher Altstadtwohnhäuser vorgestellt, die neben der Freilegung und Restaurierung ihrer historischen Substanz nachhaltige und zugleich bestandsgerechte energetische Verbesserungen erfuhren.
Konradigasse 35
Das traufständige Haus Konradigasse 35 im Stadtteil Niederburg könnte man wegen seiner schmalen und niedrigen Fassade fast übersehen. Zu beiden Seiten wird es von weit größeren Wohnbauten „bedrängt“. Der tiefgestreckte, 1356 errichtete und 1520 erweiterte Fachwerkbau verfügt über einen entsprechend geringen außenluftberührten Hüllflächenanteil. Das zuletzt leerstehende, völlig heruntergewohnte Haus erfuhr in den Jahren 2012 bis 2016 eine behutsame Sanierung und nimmt seither eine auf sämtlichen Geschossen sich ausdehnende Wohnung auf. Integraler Bestandteil des Sanierungskonzeptes war die energetische Ertüchtigung, die konsequent aus der historischen Baustruktur entwickelt wurde. An der historischen Ofenstelle in der Stubenwand zur Küche befindet sich heute ein Primär-Pelletofen, der einen im Keller platzierten Pufferspeicher speist und darüber das gesamte Haus beheizt. Eingangsdiele, Kellervorraum und Küche verfügen über eine bauteilaktivierende Fußbodenheizung, ohne in historische Bodenbeläge einzugreifen. Die Stube wird nach wie vor direkt über den Ofen beheizt, was ebenso zu einer die Speicherfähigkeit historischer Baumaterialien optimal nutzenden Strahlungswärme führt. Im Sommerbetrieb wird der Ofen abgeschaltet und die notwendige Wärme für das Brauchwasser über eine Luftwärmepumpe erzeugt. Zur optimierten Energieerzeugung tritt die Reduzierung der Wärmeverluste. Die außenluftberührten Fachwerkwände erhielten eine Innendämmung über Holzfaserdämmplatten mit raumseitigem Lehmputz. Beim Sichtfachwerk an der Fassade, welches außen wie innen über historische Malschichten verfügt, konnte auf Dämmmaßnahmen hingegen komplett verzichtet werden. Wiederum gedämmt wurden die Dachsparren, erweitert um einen dünnen, außen nicht wahrnehmbaren Aufdachanteil.
Salmannsweilergasse 10
Energetische Verbesserungen zeichnen auch die 2014 bis 2018 erfolgte Sanierung des Hauses Salmannsweilergasse 10 aus. Das schmale Anwesen in geschlossener Reihe besteht aus einem Vorder- und einem Hinterhaus mit kleinem Innenhof. Kern ist ein Fachwerkbau von 1336 mit Steinfassade. Die Sanierung führte zu strukturellen Modifizierungen, ohne wesentlich in die Denkmalsubstanz einzugreifen. Der Hof erfuhr eine Überbauung bis auf Bodenhöhe des dritten Obergeschosses. Dadurch wurden die außenluftberührten Hüllflächen, deren Anteil an der Gesamthülle bereits zuvor relativ gering ausfiel, nochmals um ca. 10 % verkleinert. Das Sparrendach des Vorder- und das Pultdach des Hinterhauses erhielten eine Aufdachdämmung, die trotz beträchtlicher Stärke von 26 cm durch eine Verbreiterung des Dachüberstands straßenseitig kaschiert werden konnte. In Verbindung mit einem aussteifenden Betonkern entstand eine gedämmte Bodenplatte mit Fußbodenheizung. Die übrigen Böden wurden als begehbare Estriche ausgeführt, auch hier wurden Fußbodenheizungen integriert. Bei den sehr befundträchtigen massiven Außenwänden konnte auf Dämmmaßnahmen innen und außen verzichtet werden. Thermische Bauteilaktivierung in der Tradition der alten Strahlungsöfen, Hüllflächenreduktion bei gleichzeitigem Zuwachs der Nutz- und Wohnfläche um 35 % sowie die maßvolle Dämmung der Außenhülle beschreiben die energetisch-funktionalen Aspekte der jüngsten Sanierung. Die Stabilisierung der historischen Konstruktion sowie die Freilegung und Sicherung historischer Substanz, darunter zahlreicher Malereireste vom Mittelalter bis zum Historismus, stehen für den denkmalpflegerischen Umgang. Zur Erhaltung der Substanz tritt somit die Verbesserung der Energiebilanz des beinahe 700-jährigen Anwesens in Form eines bestandssichernden Weiterbauens.
Wessenbergstraße 37
Ebenso in geschlossener Reihe im Umfeld des Münsters befindet sich das 1273 erstmals erwähnte Haus Wessenbergstraße 37. Der unterkellerte viergeschossige Massivbau besitzt eine schmale Fassade und tiefgestreckte Giebelwände in Form beidseitig größtenteils zugebauter Brandmauern. Dabei wird das Nachbaranwesen um ein volles Geschoss überragt. Den Bau deckt ein 1394/95 abgezimmertes Sparrendach. Die bereits vor 10 Jahren abgeschlossene Gesamtsanierung des Wohnhauses mit Laden führte neben der behutsamen Instandsetzung der vorgefundenen Substanz und einem Ausbau des Daches auch hier zu denkmalgerecht umgesetzten energetischen Maßnahmen. Die Dachkonstruktion erhielt eine Aufsparrendämmmung mit optischer Beibehaltung der Anschlüsse an Traufe und Ortgang. Das freistehende Giebeldreieck sowie die Rückseite wurden mit einem mitlaufenden, 6 cm starken Außendämmputz versehen, der die bestehenden Wandverformungen nachzeichnet. Die ergänzende, nicht einsehbare Hofüberbauung nimmt solarthermische Flachkollektoren zur Unterstützung der Warmwasseraufbereitung und der Heizung auf. Insgesamt ließ sich der Primär- und Endenergiebedarf um 70 % reduzieren, und dies bei einer Verdreifachung der Bewohnerzahl in den Wohngeschossen.
Sonnenenergie in der Altstadt
Das Wohnen und Arbeiten in der Altstadt macht auch ohne größere Solaranlagen und Standarddämmungen ökologisch Sinn. Soll hier deshalb auf die Produktion regenerativer Energien komplett verzichtet werden? Bei näherer Betrachtung finden sich auch im denkmalgeschützten Altstadtensemble vereinzelt Anlagen zur solaren Strom- oder Wärmegewinnung, u.a. in der Wessenbergstraße 37, und auch der Erschließungsturm im „Kulturzentrum am Münster“ integriert seit 25 Jahren sichtbare Photovoltaikzellen in seiner modernen Glasfassade. Ein 2021 erarbeitetes Konzept möchte die bisherige Genehmigungspraxis systematisieren und zugleich Öffnungen hin zu einer erweiterten Nutzung der Sonnenenergie innerhalb der Altstadt anbieten, ohne die geschützte Dachlandschaft und damit das Erscheinungsbild mehr als unerheblich zu beeinträchtigen. Ins Blickfeld geraten dabei insbesondere Flachdächer, die sich neben den traditionellen Neigedächern ebenso in der Altstadt finden, sowie Nebenanlagen. Eine vergleichsweise geringere Wahrnehmung im öffentlichen Raum ermöglicht hier grundsätzlich die Anbringung konventioneller Solaranlagen. Die altstadttypischen Neigedächer hingegen stellen höhere Anforderungen. Gestalterisch integrierte Solaranlagen auf Basis farblich und in der Textur angepasster Module bieten das Potenzial, Klimaschutz und Denkmalpflege zu verbinden. Aktuelle Entwicklungen machen hier Mut und können beispielgebend sein für einen künftig verstärkten Einsatz solarer Energieerzeugung auch auf denkmalgeschützten Dächern mit besonderem Blick auf die Altstadt. Damit kann nicht zuletzt dem im bundesdeutschen Vergleich lokal höheren Anteil denkmalgeschützter Bausubstanz Rechnung getragen werden, um die städtischen Klimaziele zu erreichen.
Die Stadt Konstanz und die Evangelische Landeskirche in Baden fordern eine Anpassung des Denkmalschutzes
Angesichts der drängenden Klimakrise wandten sich der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden Jochen Cornelius- Bundschuh und Oberbürgermeister Uli Burchardt im Dezember 2021 mit der Forderung nach einer Anpassung des Denkmalschutzes in einem Offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann. In dem Brief heißt es: „Aufgabe des Denkmalschutzes muss es auch zukünftig sein, die uns anvertraute denkmalgeschützte Bausubstanz zu erhalten. Nach unserer Auffassung ist es jedoch in vielen Fällen möglich, PV-Anlagen zu errichten, ohne die Substanz zu beeinträchtigen. Um das Potenzial zur Nutzung erneuerbarer Energien so weit wie möglich ausschöpfen und Gebäude mit PV-Anlagen ausstatten zu können, bedarf es also dringend einer Neuorientierung bei der Abwägung von Klimaschutz und Denkmalschutz und damit einhergehend eines Kriterienkatalogs für den PV-Ausbau, der insbesondere bei reversiblen Maßnahmen vorrangig den Klimaschutzbelangen vor dem Denkmalschutz Rechnung trägt. Dieser Katalog sollte mit einem verbindlichen Prozesspfad verknüpft werden, um rasch ins Handeln zu kommen. Lieber Ministerpräsident Kretschmann, wir regen an, zeitnah Gespräche auf Fachebene zu initiieren, um hier weiterzukommen.“ Der vollständige Brief ist auf konstanz.de zu finden.