Wie sieht Ihr Berufsalltag als Leiter der Abteilung Soziale Dienste aus?
Was die Abteilung umfasst: die sozialpädagogischen Fachdienste, die psychologischen Beratungsstellen für Hilfen, die Bezirks-Sozialarbeit, die Schul-Sozialarbeit und die Jugendgerichtshilfe. Alles für junge Menschen, die eine schwierigere Biografie und Probleme haben. In den jeweiligen Sachgebieten werden dann die unterschiedlichen Aufträge bearbeitet.
Bei mir liegt noch die Dienst- und Fachaufsicht der Stiftung Wessenberg, eine stadtnahe Stiftung und der größte Jugendhilfe-Anbieter der Stadt, der zwar den Status eines freien Trägers hat, aber bei besonderen Vorkommnissen beim Sozial- und Jugendamt ein Veto und eine Möglichkeit der Einflussnahme hat.
Meine Aufgabe ist es, Strömungen in der Sozialpädagogik aufzunehmen und über den Tellerrand zu schauen: Was sind gerade fachliche Diskussionen? Was gilt es wo konzeptionell weiterzuentwickeln, umzubauen, aufzubauen? Die Schulsozialarbeit haben wir z.B. in den letzten 5 bis 10 Jahren in Konstanz aufgebaut, sodass es mittlerweile an allen Schulen Schulsozialarbeit gibt.
Was genau heißt eigentlich "Konzepte entwickeln" in der Sozialen Arbeit?
In den Bereich der Schulsozialarbeit fällt z.B. das Gewaltpräventionskonzept an Schulen weiterzuentwickeln. Im Bereich Kinderschutz gibt es gerade dramatische Fälle von Kindesmissbrauch in anderen Kommunen und der damit einhergehenden Diskussion um die Kindeswohlgefährdung. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns fragen: Was heißt das für unsere Standards? Müssen wir uns verbessern, etwas verändern? Haben wir Lücken im System?
Manchmal werden Themen auch von außen an uns herangetragen. Plötzlich stehen Flüchtlinge vor der Tür. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die 2015/2016 teils zu Hunderten kamen. Da war ich mit der Frage konfrontiert: Wie können wir die versorgen? Und es geht nicht immer so geordnet zu. Da waren wir teilweise in der Wessenberghalle und haben Betreuer organisiert.
Wie vorhersehbar ist Ihr Arbeitsalltag? Weiß man morgens schon, was tagsüber geschehen wird?
Man hat zwar einen Plan für die Woche, aber es kann passieren, dass man Freitagnachmittag plötzlich bei einem Interview sitzt, anstatt am geplanten Geschäftsbericht zu arbeiten. Das macht es aber eben auch spannend und abwechslungsreich.
Inwiefern ist Ihre Abteilung mit anderen sozialen Institutionen vernetzt?
Eine enge und gute Zusammenarbeit zwischen den sozialen Verbänden und der Stadt ist unabdingbar und die halbe Miete. Man muss seine Leute kennen bei der Caritas, AWO, SKF, Familienhilfe e.V., Flex-Flow, der Linzgau Kinder- u. Jugendhilfe . Man kann nicht im Zimmer sitzen und warten, bis irgendwas auf einen zukommt, sondern man muss gut vernetzt sein und diese Netzwerke pflegen. So eine Aufgabe wie die Flüchtlingskrise war nur zu stemmen, weil wir da in kürzester Zeit hier zusammen am Tisch saßen, um Lösungen zu finden.
Auch die Solidarität der Verbände zur Stadt ist sehr stark und für uns unheimlich wichtig. Die Stadt braucht die Partner im sozialen Bereich. Wir haben über Zuschüsse und die Bereitstellung von Mitteln eher eine steuernde Funktion. Natürlich haben wir eigene Mitarbeiter, und auch innerhalb der Verwaltung arbeiten wir sehr gut zusammen, aber so eine Flüchtlingskrise bewältigt man nur, wenn auch die Kooperation funktioniert.
Wie würden Sie die Atmosphäre im Team beschreiben?
Dazu muss man sagen: Es gibt nicht ein Team, sondern viele verschiedene Teams, große und kleine. Dann gibt es Teams, wie die Psychologische Beratungsstelle mit 5 Mitarbeitenden, die in einem Gang sitzen und ein ganz anderes Teamverständnis haben als 12 Schulsozialarbeiter, die über die ganze Stadt verteilt sind. Das Spektrum innerhalb meiner Abteilung ist ziemlich weit. Dadurch ist die Solidarität ganz unterschiedlich ausgeprägt und wahrscheinlich auch, wie positiv man das Amt oder die übergeordnete Stelle als begleitend und unterstützend wahrnimmt.
Ich denke, wir haben in relevanten Bereichen schon einen guten Team-Spirit. Der Fachkräftemangel ist aber auch in der Sozialarbeit angekommen. Momentan erleben wir im Bezirkssozialdienst einen Generationswechsel und viel Fluktuation. Und wenn alte Haudegen von Bord gehen und neue Kollegen ohne Erfahrung dazukommen, dann müssen andere nachrücken – das löst Dynamik aus: Wer fühlt sich jetzt für was verantwortlich?
Gleichzeitig ist vielleicht eine Stelle nicht besetzt. Und trotzdem muss alles, was da reinkommt, erledigt werden, wenn eine Kindesgefährdungsmeldung kommt, kann man damit nicht warten. In einem anderen Amt würde man ein Projekt vielleicht schieben, weil zwei Leute nicht da sind, und einfach etwas anderes machen. Eine Prioritätensetzung in dieser Form ist aber beim Jugendamt schlicht nicht möglich.
Warum haben Sie sich für die Stadt Konstanz entschieden?
Der Weg zur Stadt Konstanz war schon fast ein Klischee: Hier kann man ganz gut leben. Ich bin in einem 200-Seelen-Nest im tiefsten Franken aufgewachsen und mit 20 will man dann nur weg. Man kann sich eigentlich nur verbessern. Ich habe dann in Bamberg studiert und danach fast 10 Jahre in Frankfurt gelebt, weil ich überzeugter Großstädter geworden bin. Dort war ich dann beim Jugendamt in Frankfurt, hatte erste Stellen, als Drogenberater und in der Heimerziehung. Ich habe schnell für mich gemerkt: Die Jugendhilfe passt. Und dass ich ein Großstadtmensch bin. Schließlich kam ich in das Alter, in dem ich nicht mehr jedes Wochenende unterwegs war, anfing, die Natur und andere Sachen zu schätzen. Und komischerweise war der Bodensee schon immer präsent. Bei der Schulabschlussreise, diversen Wochenendbesuchen und Brückentagen habe ich Zeit hier am See verbracht. Irgendwann habe ich angefangen, in die Zeitung zu schauen, ins Internet – und da habe ich eine offene Stelle beim Jugendamt gefunden. Auf die habe ich mich aufs Blaue hinein beworben. Dann war sehr schnell großes Interesse vorhanden, obwohl Frankfurt auch mit positiven Erfahrungen besetzt war. Meine damalige Freundin und heutige Frau war als geborene Frankfurterin zunächst zögerlich. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Und warum für diesen Beruf?
Natürlich wird man da nicht reich, aber mein Beruf ist für mich mit einer Sinnhaftigkeit verbunden. Ich denke, ich mache etwas Vernünftiges. Ich organisiere Hilfe für Menschen und kann auf dieser Ebene das Hilfesystem von einer ganzen Stadt beeinflussen, das finde ich schon eine unglaublich anspruchsvolle Aufgabe.
Wie sah denn Ihr Berufsweg aus?
In meiner Generation ein Klassiker: über den Zivildienst. Ich bin ja ein Zweitbildungswegler. Da macht man mit 16 etwas Vernünftiges wie eine kaufmännische Lehre, weil es die Eltern sagen. Mit 15 hat man sich beworben und keine Ahnung gehabt, was man eigentlich machen will. Und merkt ziemlich schnell, dass das total langweilig ist.
Dann habe ich auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgemacht, und bei mir gab es noch den Wehrdienst, den habe ich verweigert. Während des Zivildienstes war ich dann 18 Monate lang im Behindertenbereich tätig. Man merkt: Das ist etwas Sinnvolles. Damals haben aber alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Was macht Ihnen an meisten Spaß?
Spaß ist in unserem Bereich ein komischer Begriff. Man darf kein Helfersyndrom entwickeln oder positive Rückmeldungen und Erfolge haben wollen, sonst ist man auf dem besten Weg zu einem Burn-out. Als ich noch auf der Fallebene war und selbst Einzelberatungen gemacht habe, da habe ich immer gedacht: So schwierig die Konstellationen auch waren, ich habe einen Beitrag dazu geleistet, dass ein junger Mensch auf einen anderen Weg kommt.
Mein Prof hat gesagt, man darf keine hohen Erwartungen haben, und war durchaus auch systemkritisch. Sozialarbeit ist die Organisation von ein bisschen mehr sozialer Gerechtigkeit. Das ist nicht viel, aber gleichzeitig auch nicht wenig! Gehen Sie nach dem Studium in die Systeme, und verändern Sie diese, tragen Sie ihren Teil dazu bei, dass sich das ganze System ein wenig zum Positiven verändert. Ich fand das eine eindrückliche Definition. Wir organisieren hier soziale Gerechtigkeit für junge Menschen, die nicht mit elterlichen Rahmenbedingungen gesegnet sind, wo der Weg des Akademikers vorgezeichnet ist, wo man vieles über Geld regelt. Da können wir helfen, dass jemand seinen Begabungen entsprechend doch seinen Weg macht, dass Konflikte geklärt werden und Unterstützung erfolgt.
So ein Konzept für eine ganze Stadt zu entwickeln, macht vielleicht nicht „Spaß“, aber zufrieden. In allen vierten Klassen gibt es jetzt Kurse in Gewaltprävention, und das habe ich auf den Weg gebracht. Und das ist einfach befriedigend. Mit solchen Konzepten prägt man möglicherweise nicht den Einzelfall, aber vielleicht eine ganze Generation. Wenn das nicht befriedigend ist, dann weiß ich auch nicht.
Welche Talente muss man in diesem Bereich mitbringen?
Man muss unglaublich viel sortieren, das wichtige vom unwichtigen trennen. Außerdem sattelfest sein, um belastende Fälle wegzustecken. Oft nimmt man diese Sachen mit nach Hause, da braucht es ein Bärenfell und eine Gabe, das am Freitagmittag in die Ecke stellen zu können. Sonst wird man nicht alt in dem Job.
Aber auch Beschimpfungen, Beschwerden auszuhalten. Weil es ein hoch konfliktträchtiger Bereich ist. Zum Beispiel bei Trennungen, Scheidungen, Konflikten, Beratungen, wo wir vom Gericht dazu geholt werden. Wo soll das Kind jetzt bleiben? Wer bekommt das Sorgerecht? Solche Situationen eskalieren schnell. Da geht um das Existenziellste, was Familien haben. Einer fühlt sich immer als Verlierer, macht das Amt oder den Vertreter dafür verantwortlich, bezeichnet sie als inkompetent und beauftragt Anwälte, Beschwerdeschriften einzubringen. Da muss ich als Leitung dahinterstehen oder mich davorstellen. Dazu braucht es schon eine gewisse Robustheit.
Aber auch Organisationstalent ist gefragt. Eine komplett durchgeplante Woche gibt es nicht.
Was hat Sie bei der Stadt Konstanz am meisten überrascht?
Für uns war zunächst beides fremd, Arbeitsplatz und Wohnort. Ich dachte, ich habe ja in Frankfurt schon im Jugendamt gearbeitet, aber es war trotzdem spannend, weil doch vieles anders gemacht wurde. Das Grenzstadt-Phänomen war ganz neu, obwohl ich ja auch grenznah aufgewachsen bin. Wie unterschiedlich die beiden Kulturen Schweiz und Deutschland doch sind. Mentalität und Humor mussten wir, aus einer hessischen Großstadt kommend, erst lernen.
Würden Sie die Stadt Konstanz als Arbeitgeber weiterempfehlen?
Ich bin überzeugter Konstanzer. Ich fühle ich mich hier sehr gut aufgehoben und halte die Stadt für einen tollen Arbeitgeber. Ich war schon bei freien Trägern, bei denen es viel chaotischer und ungeordneter zuging in meinem speziellen Bereich. Hier findet man Verlässlichkeit und einen sicheren Job, auch wenn man nicht reich wird.
Was mich immer beeindruckt, ist, dass man bei den Leuten, die schon länger dabei sind – den „Städtlern“ –, einen bestimmten Spirit spürt: eine gemeinsame Identität und Zugehörigkeit. Da wechselt man auch ein paar Worte, wenn man sich in der Stadt trifft. Und natürlich beim OB-Empfang und -Sommerfest. Das habe ich in der Großstadt so nicht kennengelernt.