Gemeinderat benennt Straßen um
Geplant sind ebenfalls Ergänzungstafeln, die die Umbenennung erläutern
Nachdem die Straßenbenennungskommission bereits mehrmals zum Thema Umbenennung von Straßen getagt hat, traf der Gemeinderat in seiner Sitzung am 29. Juni 2023 folgende abschließende Entscheidungen:
Die Franz-Knapp-Passage wird in Rathauspassage umbenannt. Die Otto-Raggenbass-Straße heißt künftig Emma-Herwegh-Straße, die Conrad-Gröber-Straße wird zur Josef-Picard-Straße. Die Felix-Wankel-Straße wird in Robert-Gerwig-Straße umbenannt, die Werner-Sombart-Straße in Ralf-Dahrendorf-Straße und die Hindenburgstraße in Matthias-Erzberger-Straße.
Weiterhin beschloss der Gemeinderat die Anbringung von Ergänzungstafeln, die die Umbenennung erläutern. Auch wurde die Stadtverwaltung beauftragt, mögliche Entschädigungen für Unternehmen und Betriebe zu prüfen, die von der Straßenumbenennung betroffen sind.
Die Umbenennung der Straßen wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres vollzogen, sobald die Entscheidung über mögliche Entschädigungen für betroffene Gewerbetreibende im Gemeiderat gefallen ist.
Die ausführlichen Informationen der Sitzungsvorlage für den Gemeinderat finden sich hier im Bürgerinformationssystem.
Kurzporträts zu den neuen NamensgeberInnen
Ralf Dahrendorf (1929-2009)
Am 1. Mai 1929 in Hamburg geboren, wuchs Ralf Dahrendorf als Sohn eines Kaufmanns und Reichstagsabgeordneten (SPD) und einer Sekretärin in Berlin und Buckow auf, wo er die Grundschule und das Gymnasium besuchte. 1944 wurde er kurzzeitig wegen des Verfassens von regimekritischen Flugblättern interniert. Nach Studium in Hamburg und London machte er eine akademische Karriere, die ihm – nach erfolgter Habilitation – im Laufe seines Lebens 25 internationale Ehrendoktorwürden einbrachte. Sein Leben entzieht sich jeder Einordnung, vielleicht könnte man den Soziologen, Sozialphilosophen, Politiker und Journalisten schlicht einen Weltbürger nennen.
Nach Professuren in Hamburg, den USA und in Tübingen wurde Ralf Dahrendorf 1966 zum Gründungsprofessor der Universität Konstanz. Zuvor hatte er wesentliche Teile des Gründungsberichte der Reformuniversität geschrieben, die auch als „Klein-Harvard am Bodensee“ bezeichnet wurde. 1967 trat er der FDP bei, er war Landtagsabgeordneter in Stuttgart, Bundestagsabgeordneter in Bonn und Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Von 1974 bis 1984 war Ralf Dahrendorf Rektor der London School of Economics, dann von 1987 bis 1997 Rektor des St. Antony’s College und zugleich Prorektor der Universität Oxford – zwischenzeitlich von 1984 bis 1986 erneut Professor in Konstanz. Neben der deutschen Staatsbürgerschaft besaß er seit 1988 auch die britische. 1993 war er Mitglied des House of Lords des britischen Parlaments. Ralf Dahrendorf starb am 17. Juni 2009, wenige Tage nach seinem 80. Geburtstag, in Köln.
Matthias Erzberger (1875-1921)
Zentrums-Politiker, der ab 1903 im Reichstag wirkte und zu einem der profiliertesten Politiker im Bereich der Finanz-, Sozial-, Kolonial- und Militärpolitik wurde. Aus dem Annexionisten Erzberger wurde im Laufe des Ersten Weltkrieges ein Vertreter eines „Verständigungsfriedens“: Die Friedensresolution vom 19. Juli 1917 war im Wesentlichen sein Werk. Da aus seiner Sicht alternativlos, drängte er zur Annahme des Versailler Vertrags. 1919 wurde er Reichsfinanzminister und setze die Finanzhoheit des Reiches gegenüber den Ländern durch; er führte die diversen Bahngesellschaften in Reichseigentum über. 1920 Rücktritt; als „Novemberverbrecher“ und „Volksverräter“ wurde er am 26. August 1921 in Bad Griesbach im Schwarzwald Opfer eines Anschlags von Rechtsextremisten. Er starb auf einem Spaziergang mit Carl Diez, einem Radolfzeller MdR (Zentrum).
Robert Gerwig (1820-1885)
Geboren am 2. Mai 1820 in Karlsruhe wuchs Robert Gerwig als Beamtensohn in der badischen Landeshauptstadt auf. Hier in Karlsruhe besuchte er das Lyzeum, dann ab 1834 die Polytechnische Schule. Diese Ingenieursschule verließ er 1840 „mit sehr gutem Erfolge“. Nach Ableistung seines Militärdienstes wurde er bei der badischen Eisenbahn eingesetzt. Zehn Jahre lang wechselte er von einer Eisenbahnbau-Inspektion zur anderen. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen wurde er in die Oberdirektion nach Karlsruhe berufen und 1846 zum „Ingenieur mit Staatsdienereigenschaft“ ernannt. Er heiratete die Tochter des Direktors der Hofdomänenkammer, die Ehe blieb kinderlos.
Im badischen Staatsdienst stieg Robert Gerwig sehr schnell auf. Er wurde zum „provisorischen Direktor“ der aufzubauenden Uhrmacherschule Furtwangen ernannt. Die Schwarzwälder mandatieren ihn als Landtagsabgeordneter in die Ständekammer. In seiner Furtwangener Zeit war Gerwig auch für den Wasser- und Straßenbau tätig. Hier kam er mit Konstanz in Kontakt. Er machte Vorschläge zur Lösung wasserbautechnischer Probleme durch Senkung des Bodenseehochwassers. Vor allem aber schuf er den Entwurf der Rheinbrücke, dessen Bauleitung ihm nachfolgend übertragen wurde. Als Zeichen der Anerkennung für seine Leitung des Eisenbahnbaus und der Rheinbrücke erhielt er von der Stadt Konstanz als Ehrengeschenk einen silbernen Pokal mit Widmung. Parallel dazu widmete sich Gerwig dem Bau der Schwarzwaldbahn. Als Eisenbahnexperte war er international anerkannt. Er verließ den badischen Staatsdienst und widmete sich als Oberingenieur dem Bau der Gotthardbahn. Wegen hoher Kostenüberschreitungen musste er im Februar 1875 zurücktreten. Zurück in Baden wurde er Baudirektor der Großherzoglichen Staatseisenbahn. Die Höllental- wie die Kinzigtalbahn wurden sein Werk. Hochgeachtet starb Robert Gerwig am 6. Dezember 1885 in Karlsruhe.
Emma Herwegh (1817-1904)
Geboren am 10. Mai 1817 in Magdeburg als Emma Siegmund, erhielt die Tochter eines zu Wohlstand gekommen Seidenhändlers eine herausragende Bildung. Im großbürgerlichen Haushalt der Eltern in Berlin begeisterte sie sich früh für republikanische Bewegungen und Frauenrechte. Sie heiratetet im März 1843 den in die Schweiz emigrierten Stuttgarter Dichter Georg Herwegh. Beide übersiedelten nach Frankreich, wo sie zwischen 1843 und 1848 einen diskussionsfreudigen Salon in Paris führte. In der französischen Hauptstadt machte sie Bekanntschaft mit dem im französischen Exil lebenden Dichter Heinrich Heine, dem russischen Anarchisten Michail Bakunin und dem Schriftsteller Victor Hugo.
Als im März 1848 in Deutschland die Revolution ausbrach, stellte ihr Mann die Pariser Deutsche Legion auf, der sie sich anschloss. Als Kundschafterin und Abgesandte verhandelte sie mehrfach mit den Anführern des badischen Aufstands, insbesondere mit Friedrich Hecker, über den Einsatz der Deutschen Legion, einer aus exilierten deutschen Handwerkern und Emigranten bestehenden Freiwilligeneinheit. Sie sollte den radikaldemokratischen Heckeraufstand militärisch unterstützen. Die knapp 1000 Mann umfassende Einheit wurde am 27. April 1848 bei Dossenbach geschlagen und aufgerieben. Die Karlsruher Zeitung veröffentlichte im Juli 1848 einen Steckbrief, mit dem nach Emma Herwegh gesucht wurde. Nach dem Scheitern der Revolution entkamen Emma und Georg Herwegh einer Verhaftung nur knapp. Sie flohen in die Schweiz und ließ sich von 1851 bis 1866 in Zürich nieder. Dort hielt Emma Herwegh engen Kontakt zu italienischen und deutschen Emigranten. Den demokratischen Idealen blieb sie bis zu ihrem Tod am 24. März 1904 in Paris treu. Sie war eine der wenigen Frauen, welche die Revolution von 1848/49 aktiv und unter Lebensgefahr unterstützt haben.
Josef Picard (1879-1946)
Konstanzer Architekt, der die Stadt geprägt hat, insbesondere Marktstätte 17, 19 und 21, ein Gebäudeensemble, das er 1912/13 errichten ließ. Er darf auch als Wegbereiter der WOBAK gelten. Er war Vorsitzender des Kur- und Verkehrsvereins und Vorsitzender des Bundes Deutscher Architekten. Politisch war er Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei und Mitglied des Bürgerausschusses. Als Jude wurde er im Nationalsozialismus in die Emigration getrieben. Nach der Pogromnacht vom November 1938 emigrierte er im März 1940 in die USA. In Los Angeles schlug er sich als Hausmeister durchs Leben. Dort starb er 67-jährig im August 1946, wohl infolge eines „gebrochenen Herzens“. Tatsächlich dürfte sein Tod mit dem sozialen Abstieg und dem Verlust seiner Heimatstadt Konstanz eng zusammenhängen.
Kurzporträts zu den alten Namensgebern
Franz Knapp (1881-1973)
Als Sohn eines Ortenauer Landwirts trat Franz Knapp 1908 als Verwaltungsjurist in den badischen Staatsdienst ein, in dem er bis zu seiner Pensionierung als Oberbürgermeister von Konstanz fast 50 Jahre lang Dienst tun sollte. Im Mai 1927 wurde er in Konstanz zum Bürgermeister (Zentrum) gewählt. Unbestechlich, pflichtbewusst und korrekt versah er den kommunalen Dienst bis zu seiner erzwungenen Amtsniederlegung am 26. Mai 1933. Der neue NS-Oberbürgermeister reichte dem erfahrenen Verwaltungsjuristen die Hand, und Knapp nahm sie an – getrieben vom Berufsethos des „immer treuen“ höheren Verwaltungsbeamten.
Als städtischer Rechtsrat trat er jedenfalls am 19. Juni 1933 wieder in den Dienst der Stadt Konstanz. Er passte sich wie viele Beamte den neuen Verhältnissen an und verhielt sich absolut loyal. Offene Kritik oder gar Widerstand hat er nicht gewagt, wahrscheinlich nicht einmal in Erwägung gezogen. An der lokalen Abwicklung der Reichspogromnacht vom November 1938 hat er im Hintergrund mitgewirkt. Knapp wickelte sie als städtischer Rechtsrat ab, setzte die kaum noch handlungsfähige Israelitische Gemeinde im Rahmen der Eintreibung der Abräumkosten der zerstörten Synagoge unter Druck, was mittelfristig zum städtischen Erwerb des Synagogengrundstückes führen sollte.
Nach der kampflosen Besetzung von Konstanz war Knapp klug genug, sich nicht von der französischen Besatzungsmacht als einer von insgesamt fünf Oberbürgermeistern des Jahres 1945 verschleißen zu lassen. In der verworrenen Situation wirkte er als Rechtsrat im Hintergrund. Nach den ersten Kommunalwahlen vom 15. September 1946 wurde Knapp (BCSV/CDU) vom Gemeinderat zum Oberbürgermeister gewählt. Nach außen bescheiden und gütig versah er sein neues Amt. Am 10. Dezember 1957 wurde der mittlerweile 76-Jährige als Oberbürgermeister verabschiedet.
Conrad Gröber (1872-1948)
In Meßkirch geboren, besuchte Conrad Gröber in Konstanz das Gymnasium. Nach Studium in Freiburg und Rom empfing er 1897 die Priesterweihe. Zwischen 1899 und 1902 war er Rektor des Knabenkonvikts Konradihaus. 1905 übernahm er die Dreifaltigkeitspfarrei in Konstanz, 1922 wurde er als Münsterpfarrer investiert. 1931 wurde Gröber zum Bischof von Meißen ernannt. Bereits 1932 wurde er Erzbischof von Freiburg. Strittig ist bis heute seine Haltung im Nationalsozialismus. Insbesondere 1933/34 hatte er die Hoffnung, dass sich die Kirche mit den Nationalsozialisten durch Entgegenkommen arrangieren könne. Seine anfängliche Kooperationspolitik brachte Gröber im Volksmund den Spitznamen „brauner Conrad“ ein. 1934 wurde er förderndes Mitglied der SS, was die Spende regelmäßiger Geldbeträge bedeutete. Am Karfreitag des Jahres 1941 hielt Gröber eine Predigt, deren Sprache sich stark dem antisemitischen Vokabular der NS-Machthaber annäherte. Allerdings finden sich bereits in der Frühzeit des „Dritten Reichs“ auch kritische Äußerungen. So befürwortete Gröber einen öffentlichen Protest der katholischen Kirche gegen den Aufruf zum Judenboykott am 1. April 1933. Öffentlichkeitswirksam wurden insbesondere seine Silvesterpredigten im Freiburger Münster und seine Fastenhirtenworte. Darin geißelte er insbesondere die Kirchenfeindlichkeit des NS-Regimes. Für die NS-Machthaber war er „der übelste Hetzer gegen das Dritte Reich“. Der badische Kultusminister bezeichnete ihn im August 1940 als „größten Feind der NSDAP und des nationalsozialistischen Staates“; lediglich sein Amt habe ihn bisher vor Inhaftierung bewahrt. In einem Hirtenwort vom 8. Mai 1945 erklärte Gröber, dass man keinem extremen Antisemitismus verfallen solle. In seinen Augen war der Holocaust falsch, weil er die Juden in eine Verteidigungsposition drängte, von der aus sie dem Staat „noch gefährlicher wurde[n] als die größte feindliche Armee“.
Otto Raggenbass (1905-1965)
Nach Studium am Lehrerseminar in Kreuzlingen war Otto Raggenbass von 1926 bis 1938 im Schuldienst tätig. Er galt als der geborene Lehrer mit „fesselndem Unterrichtsstil“. 1938 wurde er Bezirksstatthalter von Kreuzlingen. Das Statthalteramt war Teil der Strafverfolgungsbehörden. Raggenbass fungierte daher als Untersuchungsrichter und stand den lokalen Polizeikräften vor. Der Amtsantritt von Raggenbass fiel mit der Flüchtlingswelle von Juden aus dem im März 1938 an das Deutsche Reich angeschlossene Österreich zusammen. Die thurgauische Flüchtlingspolitik war klar: „Unsere kantonale Regierung“, so der Thurgauer Polizeikommandant Haudenschild am 17. August 1938, „hat uns strikte Weisung erteilt, alle Flüchtlinge abzuweisen. Wir haben keine politischen und jüdischen Flüchtlinge in unserem Kanton. Mag man in Bern beschließen, was man will. Dieser Kanton wird keine Flüchtlinge zulassen.“ Diese restriktive Flüchtlingspolitik hat Otto Raggenbass konsequent umgesetzt. Die einschlägigen Akten hierzu sind heute nicht mehr auffindbar. Doch belegt ist, dass Raggenbass 1944 einen von der Gestapo verfolgten Berliner „Halbjuden“ rücküberstellen ließ. Bereits 1938 hatte er als neugewählter Bezirksstatthalter verfügt, dass jüdische Schulkinder aus Konstanz künftig nicht mehr in Kreuzlinger Schulen ausweichen durften. Selbst Ende 1945 zeigte sich Raggenbass als Antisemit und verweigerte kraft seines Amtes einigen Juden aus Konstanz die Einreise zu einer Gedenkfeier in Kreuzlingen für die Toten des KZ Bergen-Belsen. Der Bezirksstatthalter begründete seine Entscheidung damit, dass „die Einstellung größerer Kreise der hiesigen Bevölkerung gegenüber den hiesigen Juden nicht dazu angetan sind, eine solche Bewilligung zu erteilen, da man sowieso in Kreuzlingen davon spricht, Juden seien in vielem bevorzugt und nicht beliebt.“ Otto Raggenbass wurden zudem „gute Beziehungen“ zur Gestapo nachgesagt. Immerhin verfügte die französische Besatzungsmacht im Frühjahr 1945 gegen ihn eine Einreisesperre nach Konstanz. Die von Raggenbass 1964 erstmals herausgegebene Publikation „Trotz Stacheldraht 1939–1945“ geriet in den 1990er-Jahren zunehmend in Beweisnot. Sie kann als Höhepunkt seiner Selbstheroisierung angesehen werden und begründete seine Reputation als „Retter von Konstanz“, eine Rolle, die er laut regionaler Zeitgeschichtsschreibung so nicht gespielt hat.
Werner Sombart (1863-1941)
Nach einem juristischen Studium in Berlin und Pisa wurde Werner Sombart 1890 auf einen neugeschaffenen Lehrstuhl nach Breslau berufen. Dort blieb er 16 Jahre Professor, bis er 1906 an die Berliner Universität wechseln sollte. Eine „Lex Sombart“ verhinderte zuerst seinen Amtsantritt, der schließlich doch von der preußischen Ministerialbürokratie durchgesetzt wurde. Er wurde 1931 in Berlin emeritiert, lehrte dort jedoch noch einige Jahre weiter. Der bekannte Volkswirtschaftler und Soziologe wurde Mitglied der 1933 gegründeten nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht. Am 19. August 1934 gehörte er zu den Unterzeichnern des Aufrufs „Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler“ anlässlich der Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs. Sombarts Werk „Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert“ von 1896 hatte durch seine positive Rezeption von Karl Marx seinen Ruf als Sozialist verstärkt. In späteren Jahren bezog er als pessimistischer Kulturphilosoph einen national-konservativen Standpunkt. Einige Historiker betrachten Sombart als einen sozialkonservativen Wegbereiter des Nationalsozialismus. In seiner Abhandlung „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ von 1911 hob er die Juden als kapitalistische Hauptakteure hervor. Im 13. Kapitel behandelt er „das Rassenproblem“ mit den Stichworten „die anthropologische Eigenart der Juden“, „die jüdische ‚Rasse‘“, „die Konstanz des jüdischen Wesens“, „die rassemäßige Begründung volklicher Eigenarten“. Obwohl er damit gängige Vorurteile seiner Zeit bediente, beanspruchte er doch, in seinem Buch „streng wissenschaftlich“ vorgegangen zu sein. Sombart plädierte für eine nationaljüdische „Arterhaltung“. Allerdings sollten die Juden nicht auswandern, sondern eine separierte ethnische Minderheit bilden. In „Händler und Helden“ von 1915 erweiterte er diese Anschauung auf den Kriegsgegner England. In „Der proletarische Sozialismus“ deutete sich Sombarts Wandlung zum Anhänger der Konservativen Revolution an. Seine Versuche, im nationalsozialistischen Regime politischen Einfluss zu gewinnen, scheiterten.
Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (1847-1934)
Der preußische Adelige Paul von Hindenburg war Generalfeldmarschall und Politiker. Im Ersten Weltkrieg übte die von ihm geführte Oberste Heeresleitung von 1916 bis 1918 gleichsam diktatorisch die Regierungsgewalt im Deutschen Reich aus. Im Juni 1919 trat er als Chef des Generalstabes des Heeres zurück. Hindenburgs Rolle im Ersten Weltkrieg beruhte vor allem auf dem Mythos des „Siegers von Tannenberg“.
Nach der militärischen Niederlage versuchte er durch die Zusammenarbeit mit der neuen republikanischen Regierung, Unruhen innerhalb des Heeres entgegenzuwirken. Nachdem beim ersten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl vom 29. März 1925 kein Kandidat eine absolute Mehrheit erreicht hatte, fragten die Rechtsparteien bei dem parteilosen Pensionär Hindenburg eine Kandidatur an. Nur zögerlich stimmte er zu. Am 26. April 1925 wurde Hindenburg im zweiten Wahlgang im Alter von 77 Jahren zum Reichspräsidenten gewählt.
Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 wurde Hindenburg für weitere sieben Jahre in seinem Amt bestätigt. Nach der Wahl geriet er noch stärker als zuvor unter den Einfluss der politischen Rechten. Am 30. Januar 1933 berief Hindenburg schließlich Adolf Hitler zum Reichskanzler und wurde so zum Steigbügelhalter der NSDAP. Er ermöglichte die NS-Diktatur. Am 1. Februar 1933 löste er den Reichstag auf. Im Laufe des Februars wurde eine ganze Reihe von Maßnahmen wie die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ und die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ erlassen, mit denen die Grundrechte bis auf Weiteres (aber faktisch bis 1945) ausgesetzt wurden. Massenverhaftungen von Anhängern der KPD und der SPD waren die Folge. Bei der von Propagandaminister Joseph Goebbels am 21. März 1933 inszenierten Eröffnung des neu gewählten Reichstags in der Potsdamer Garnisonkirche wurde durch eine tiefe Verneigung Hitlers vor dem greisen Reichspräsidenten eine symbolträchtige Kontinuität zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ hergestellt. Hindenburgs hohes Ansehen wurde für das neue Regime instrumentalisiert. Im Juli 1934 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends; er verstarb nach wenigen Tagen.
Felix Wankel (1902-1988)
Der in Lahr gebürtige und in Heidelberg aufgewachsene Verlagskaufmann Felix Wankel war autodidaktischer Maschinenbaukonstrukteur sowie Erfinder des nach ihm benannten Wankelmotors. Dem Nationalsozialismus schloss sich Wankel sehr früh an; er war einer der „ältesten Kämpfer“ der Bewegung Adolf Hitlers. Er hatte bereits 1922 eine Mitgliedskarte der NSDAP erhalten, und zwar über die Ortsgruppe Mannheim. Seine von Hitler persönlich unterschriebene Mitgliederkarte trug die Nr. 136. Politisch betätigte sich Wankel in den 1920er-Jahren vor allem durch die Leitung von Jugendgruppen, durch die er Jugendliche für völkisch-nationalistische Ziele begeistern wollte. Die Attraktivität seiner Gruppen sah Wankel in von ihm entwickelten technischen Innovationen wie „Lichtgewehren und -MGs“, Signalgebern, Morsegeräten, Feldtelefonen und Minenwerfern begründet, die bei paramilitärischen Geländespielen eingesetzt wurden. Alles sollte dazu dienen, einen zukünftigen Krieg auch technisch vorzubereiten.
1930 bekleidete er für ein knappes Jahr den Posten des ehrenamtlichen „Gauleiters der Hitler-Jugend in Baden“. Im Oktober 1932 wurde Wankel, Mitglied der innerparteilichen Wagner sorgte dafür, dass der gestürzte und entmachtete „alte Kämpfer“ Wankel am 14. März 1933 schwer misshandelt und für ein halbes Jahr „in Schutzhaft“ genommen wurde. Doch Felix Wankel verfügte über sehr gute Kontakte zu Wilhelm Keppler, dem persönlichen Wirtschaftsberater Hitlers, was den beruflichen Neustart nach 1933 erleichterte, und zwar im bayrischen Lindau.
Für den Konstrukteur Wankel wurde nämlich 1936 vom Reichsluftfahrtministerium die „Wankel- Versuchs-Werkstatt“ in Lindau eingerichtet, wo 1944 der erste Drehkolbenverdichter erprobt werden konnte. Durch Heinrich Himmler wurde Wankel 1940 zum SS-Obersturmbannführer ernannt. Der Unternehmer hatte nach 1945 ein Entnazifizierungsverfahren vor der Spruchkammer in Lindau zu durchlaufen, aus dem er – nach grober Tatsachenverdrehung bezüglich seines NS-Engagements von vor 1933 – als „Minderbelasteter“ hervorging.