Meilensteine der Mobilitätswende

Impulse für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung

Das Handlungsfeld Mobilität ist ein zentrales Thema auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mit einer Mobilitätswende soll die Senkung des Energieverbrauchs ohne Einschränkung der Mobilität erreicht werden. Dabei geht es nicht nur um die Klärung, wie und mit welchen Verkehrsmitteln sich die Bürgerinnen und Bürger zukünftig bewegen. Es geht auch darum, wie der knappe öffentliche Raum in der Stadt genutzt wird. Wie können wir den urbanen Verkehrsraum als Aufenthaltsraum zurückerobern, ohne Erreichbarkeiten zu schwächen und Mobilität einzuschränken? Wo bringen wir neue Sharing- Angebote unter? Wie stärken wir die Aufenthaltsqualität und bringen mehr Grün in der Stadt? Wie entwickeln wir eine Stadt, die für achtjährige gleichermaßen gut ist wie für 80-Jährige? 

Das Handlungsfeld Mobilität war Thema einer Sondersitzung des Technischen und Umweltausschusses am 8. Juli. Im Gemeinderat erfolgt die Beratung in der Sitzung am 23. Juli.
 
In vielen europäischen Städten hat die Mobilitätswende bereits begonnen. Die Kfz-Nutzung ist seit einigen Jahren rückläufig. Diese Entwicklung ist auch in Konstanz spürbar. Anders als viele andere deutsche Städte hat die Stadt bereits einen nachhaltig vorzeigbaren Modal Split, der im Binnenverkehr heute einen Anteil von 75% im Umweltverbund vorweist. Mit dem Masterplan Mobilität wurden in 2012 bereits die grundsätzlichen Weichen gestellt, eine entscheidende Weiterentwicklung ist zudem durch den ausgerufenen Klimanotstand erfolgt. Die Frage, mit welchen Maßnahmen die größten Klimaeffekte erzielt und eine echte Mobilitätswende erreicht werden kann, hat weitere und auch neue Impulse in die laufenden Maßnahmen gesetzt. Die folgenden Ausführungen beleuchten den aktuellen Sachstand und weitere Entwicklungen im Handlungsfeld Mobilität.
 
 
Der aktuelle Modal Split
Die Konstanzer Bevölkerung ist bereits heute überwiegend nachhaltig mobil: Der Anteil der mit dem Auto zurückgelegten Wege am Modal Split ist im Vergleich zur Socialdata-Erhebung 2007 im Gesamtverkehr um 10 Prozentpunkte auf 31% deutlich gesunken. Im Vergleich mit anderen Städten sind 69% der Wege mit dem Umweltverbund bereits vorbildlich: Dieser Anteil liegt deutschlandweit derzeit bei nur 43%.
 
Bei Wegen über längere Distanzen – Quellverkehr der Konstanzer Bevölkerung zu Zielen außerhalb der Stadt sowie auch Zielverkehr von außerhalb nach Konstanz, d.h. von Besuchern zum Zweck des Einkaufs oder Tourismus – überwiegt jedoch weiterhin der MIV. Zwar ist im Quellverkehr der Anteil des ÖV seit 2007 von 10 auf 22% gestiegen, allerdings ist der Anteil von 63% Autoverkehr weiterhin hoch. In dieser Statistik nicht enthalten ist der von außen kommende Zielverkehr: Der grenzüberschreitende Verkehr aus der Schweiz ist zu 85% Autoverkehr. Daher müssen einige Mobilitätsmaßnahmen künftig besonders darauf ausgerichtet sein, dass auch im Quell- und Zielverkehr die Anteile der nachhaltigen Verkehrsträger steigen.
 
 
Radverkehr ist Leitverkehr
In den letzten Jahren wurde insbesondere die Radinfrastruktur ausgebaut und mit dem Handlungsprogramm Radverkehr die Grundlagen für eine weitere Stärkung des Radverkehrs geschaffen. Die Steigerungsraten sind entsprechend hoch. Konstanz hat die anvisierten Ziele bereits deutlich überschritten.
 
Konstanz hat durch den konsequenten Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur neue Meilensteine erreicht, dies zeigen die Ergebnisse im Fahrradklimatest sowie eine Steigerung des Fahrradanteils am Modal Split des Gesamtverkehrs gegenüber 2007 von 20 auf 30%, im Binnenverkehr von 24 auf 34%. Der Bundesdurchschnitt liegt nur bei 11%.
 
Mit dem in 2016 eingestellten Fahrradbeauftragten konnten viele Maßnahmen beschleunigt, intensiviert und verstärkt werden. Es wurde ein flächendeckendes, dezentral ausgerichtetes Konzept zum Fahrradparken entwickelt, vielerorts neue Fahrradabstellanlagen eingerichtet, insbesondere an den Bahnhaltepunkten, in der Innenstadt und an Schulen. Die Fahrradstraße an der Jahnstraße/ Petershauser Straße wurde weitergeführt, der Radweg an der Konstanzer Straße in Tägerwilen umgesetzt undin der Schützenstraße soll eine Fahrradstraße zwischen Gottlieber Straße und Döbelestraße eingerichtet werden. Am Rheinsteig wurde eine Kfz- Spur entfernt und der Rad- und Fußweg verbreitert. Eine neue Fahrradwegweisung wird installiert. Das Fahrradvermietsystem konrad konnte initiiert werden. Kreative neue Lösungen wie TINK finden bundesweit Beachtung.
 
Zukünftig wird die Stadtverwaltung auch weiterhin auf die Radachsen als CO2-neutrales Erschließungsnetz bauen und weiter umsetzen. Die dichte Struktur der Stadt und die sehr kurzen Wege bieten hier noch Potential, das weiter genutzt werden soll. Für Konstanz heißt das: Das Fahrrad ist das zentrale Verkehrsmittel im Umweltverbund.
 
 
Die Stadt der kurzen Fußwege
 Mit dem Beschluss zur Entwicklung des Handlungsprogramms Fußverkehr wird das einfachste und klimaneutralste Verkehrsmittel forciert und das erfolgreiche Handlungsprogramm Radverkehr ergänzt. Die erfolgreiche (und wegen Corona) ausschließlich online durchführbare Beteiligung zeigt, dass den KonstanzerInnen eine Stadt der kurzen Fußwege wichtig ist.
 
Das Zufußgehen wird oftmals völlig unterschätzt, hat aber eine sehr hohe Bedeutung für eine klimaneutrale Mobilitätsentwicklung. Die Stadt der kurzen Fußwege passt zu Konstanz und schließt neben nachhaltiger Fortbewegung auch die Weiterentwicklung von Lebens- und Aufenthaltsqualitäten sowie Sicherheitsaspekte ein. Im Vergleich zum Modal Split in Deutschland 2017 (21%) liegt Konstanz mit 27% bereits gut und möchte mit dem Handlungsprogramm Fußverkehr weitere Steigerungen erreichen.
 
 
Multimodalität als zentrales Zukunftsthema
 Um Mobilität in Konstanz grundsätzlich zu verändern und insbesondere den Kfz-Verkehr deutlich zu reduzieren, ist ein funktionierendes multimodales Angebot erforderlich. Der Begriff der Multimodalität beschreibt die Möglichkeit, auf ein Angebot verschiedener Verkehrsmittel zurückgreifen und nutzen zu können: z.B. mit dem Fahrrad ins Büro, zum Einkaufen mit einem Carsharingauto und mit der Familie mit dem Bus in die Innenstadt. In der Planung der neuen Stadtquartiere werden multimodale Quartierskonzepte bereits berücksichtigt.
 
Damit diese aber auch mit der erforderlichen Wirkung für den CO2 Haushalt umgesetzt werden können und funktionieren, muss die Multimodalität auch in Gänze Stück für Stück umgesetzt werden. Dies schließt alle Verkehrsträger des Umweltverbundes mit ein und erfordert auch ein Bewusstsein und Experimentierraum für neue und nachhaltige Technologien, u.a. autonome Systeme. Hierzu gehört auch die Elektromobilität, deren Vorankommen allerdings überwiegend von der Förderung des Landes und Bundes abhängt. Derzeit sind in Konstanz lediglich 190 Elektroautos angemeldet, das sind ca. 0,5% der angemeldeten Pkw.
 
Nur im Zusammenwirken funktionierender Netze und Vernetzung gelingt auch tatsächlich bequeme Mobilität ohne das Auto. Nur im Zusammenwirken ist es möglich, signifikante Steigerungsraten auch für den ÖV zu erzielen.
 
Neben der begonnenen Initiierung von betrieblichem Mobilitätsmanagement wird z.B. auch das schulische Mobilitätsmanagement vorbereitet, um Eltern der Schulkinder über die Möglichkeiten nachhaltiger Mobilität informieren. Weiterhin wird es zur Gewinnung von Akzeptanz für Veränderungen des bestehenden und in den Köpfen verankerten Öffentlichen Verkehrs erforderlich sein, über unterschiedliche Kanäle starke Kommunikation und Werbung zu betreiben, um alle betroffenen Zielgruppen zu erreichen (Studenten, Rentner, Touristen, Schüler etc.). Eine regionale und grenzüberschreitende digitale Mobilitätszentrale soll die Vernetzung unterstützen.
 
Im Quartier wurde mit der Zukunftsstadt das Projekt eines intermodalen Mobility Hub entwickelt, das den Besitz des eigenen Autos nicht mehr voraussetzt und die räumliche Vernetzung verschiedener Mobilitätslösungen sicherstellt: Bike-Sharing, Car-Sharing, ÖPNV, digitale Buchungssysteme, intelligente Ladeinfrastruktur, Smart Parking. Das intermodale Modellprojekt im Quartier soll flächendeckend im größeren Maßstab im Hafner umgesetzt werden.
 
 
ÖPNV-Offensive als Kern des Umweltverbundes
 Das ÖV System und der Fahrplan der Stadtwerke sind überwiegend schon sehr gut und vorzeigbar. Das Stadtbussystem ist mit 15 Linien, 231 km Busnetz und 209 Haltestellen, die in den Hauptverkehrszeiten im 15-Minuten-Takt angedient werden, im Städtevergleich gut. Die Stadtwerke haben das Stadtbussystem so optimiert, dass heute bis zu 41.000 Fahrgäste an einem Tag Bus fahren. Mit 156 Fahrten je Einwohner liegt der Konstanzer Stadtbusverkehr über dem deutschen Durchschnitt von 138 Fahrten.
 
Viele der im Masterplan und im Nahverkehrsplan benannten kurzfristigen Maßnahmen zur Optimierung des ÖV wurden bereits umgesetzt. An staugefährdeten Straßenabschnitten wurde der Busverkehr mittels Busspuren und Bevorrechtigungen an Lichtsignalanlagen beschleunigt. In der Laube und Bodanstraße wurden neue Busspuren eingerichtet. Das Programm zum barrierefreien Ausbau aller Haltestellen wurde inzwischen mit ca. 30% der Haltestellen im Stadtgebiet umgesetzt. Der Seehas kann von fast allen Konstanzer Haltepunkten barrierefrei erreicht werden. Der Ausbau des Bahnhofs steht kurz bevor, ebenso der Bau eines Fernbusbahnhofs mit fünf Reisebusterminals.
 
Das bestehende Bussystem bietet eine sehr gute Grundlage, um eine ÖPNV- Offensive für Konstanz zu entwickeln. Erst damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass auch Push-Maßnahmen ihre Wirkung entfalten können. Der ÖPNV ist deshalb ein wichtiger Baustein der Multimodalität in Ergänzung zum Fuß- und Radverkehr und Sharing-Systemen. Ohne ein optimiertes Busnetz und eine sehr enge Taktung funktioniert Multimodalität nicht vollständig und verhindert die Umsetzung der ambitionierter Quartierskonzepte.
 
 
Regionalverkehr – Der Umweltverbund endet nicht an der Stadtgrenze
 Der Erhalt bzw. die Stärkung der Fährverbindungen nach Meersburg und Friedrichshafen, der Personenfähre Wallhausen – Überlingen und auch die Förderung grenzüberschreitender Bahnverbindungen sind gerade für Konstanz mit der Grenzlage und der Lage am See wichtig. All dies wird seit Jahren mit teilweise erheblichen Zuschüssen durch die Stadt gewährleistet.
 
Langfristig muss auch die Umsetzung einer grenzüberschreitenden Stadtbahn mit dem erforderlichen Ausbau der Infrastruktur Zielsetzung bleiben. Gemeinsam mit der Schweiz wurde das Agglomerationsprogramm Kreuzlingen-Konstanz bearbeitet, um den Umweltverbund grenzüberschreitend zu verbessern und zu verknüpfen. Schienengebundener ÖPNV ist nicht von heute auf morgen zu realisieren. Umso wichtiger ist es, dass Konstanz auch im Zusammenschluss mit seinen Schweizer Nachbarn dieses Thema Zug um Zug auf die Schiene bringt. Die Perspektive, Kreuzlingen und Konstanz mit einem gemeinsamen Zentrum im Sinne der Ein-Stadt-Strategie weiterzudenken, ist richtig und vielen in Corona-geprägten Zeiten noch einmal mehr bewusst geworden.
 
 
Konstanz auf dem Weg zur autofreien Innenstadt
 Der Klimawandel erfordert ein konsequentes Handeln auch in der Entwicklung der Innenstadt. Konstanz will sich in die Reihe der Städte einreihen, die ihre Zentren autofrei umbauen, um dem Rad- und Fußverkehr mehr Raum zu geben und die Aufenthaltsqualität zu stärken. In Pontevedra fahren seit 20 Jahren keine Autos auf den Straßen der Innenstadt. Wien will in naher Zukunft ein autofreies Zentrum, attraktive Städte wie München, Bremen, Regensburg oder Stuttgart ebenso.
 
Das Vorbehaltsnetz wurde in den vergangenen Jahren deutlich reduziert, viele verkehrsberuhigte Bereiche wurden eingerichtet und durch deutlich erkennbare Gestaltung der Zufahrten von Hauptverkehrsstraßen getrennt.Mit dem Verkehrsmanagement an Hochlasttagen, in denen der MIV durch die Verkehrskadetten situationsbedingt an der Zufahrt in die linksrheinische Innenstadt gehindert wird, werden die (nur) an Spitzentagen auftretenden Verkehrsprobleme seit 2015 so reduziert, dass die Rettungssicherheit sowie ein pünktlicher Busverkehr gewährleistet werden können. Dennoch bleiben die wahrgenommenen Kfz- bedingten Belastungen hoch.
 
Neben Maßnahmen durch Optimierung im ÖPNV müssen weitere Maßnahmen im Straßenraum, Parkraummanagement und Verkehrslenkung umgesetzt werden. Wichtig in der Stadtentwicklung ist dabei auch, Mobilität nicht losgelöst zu betrachten, sondern die lebendige Konstanzer Innenstadt mit ihrer bundesweit einzigartigen Nutzungsmischung zu sichern. Hier spielen Wohnen, Handel, Gastronomie, Freiraum, See, Baukultur sowie das breite kulturelle Angebot zusammen eine tragende Rolle. Veränderungen sollen auf der Grundlage eines breit angelegten Beteiligungsprozesses erfolgen.
 
 
Klimawandel ist Stadtwandel
Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit und wie schnell die Mobilitätswende der Stadt Konstanz den erforderlichen Stadtwandel ermöglichen kann. Dies ist keine ausschließlich kalkulatorisch zu beantwortende Frage im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse, sondern eine Generationenfrage. Die Weichen sind bereits gestellt. Eines der zentralen Themen wird es sein, mit welchen Maßnahmen die größten Klimaeffekte erzielt werden können - nicht losgelöst und separiert, sondern ganzheitlich betrachtet unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und der finanziellen Auswirkungen. Im Bereich Mobilität werden die größten Klimaeffekte nicht mehr allein durch gute Werte im Modal Split zu erreichen sein. Diese bleiben dennoch als Richtschnur für den Nachweis der Multimodalität und damit für die Überprüfung der Wirksamkeit von umgesetzten Maßnahmen wichtig.
 
Die Mobilitätswende ist ein zentraler Baustein, um Konstanz klimaneutral zu entwickeln und die Attraktivität der Stadt zu sichern. Dazu gehört, alle Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Fuß-, Rad- und Busverkehr) weiter zu entwickeln und miteinander zu verknüpfen. Mit attraktiven Maßnahmen zur Mobilitätsstrategie, die auch die Digitalisierung mit Mobilitäts-Apps beinhalten, kann Konstanz die Wende vollziehen. Weitere Anregungen sind über Bürgerbeteiligungsverfahren aufzugreifen. Experten bewerten die Effektivität der CO2-Einsparungen, um die Klimaneutralität umzusetzen.

Auf dem Weg zur autofreien Innenstadt: Verwaltung stellt Mobilitätsstrategie vor (Meldung 08.07.2020)

(Erstellt am 08. Juli 2020 10:37 Uhr / geändert am 22. Juli 2020 14:44 Uhr)