„Ohne China geht nichts mehr“
Welche Chancen und Risiken birgt die „Neue Seidenstraßen-Initiative“ Chinas? Diese Frage diskutierten drei regionale Experten auf dem 32. China-Asien-Netzwerktreffen im bis auf den letzten Platz gefüllten Ratssaal am 30. April.
Die Sinologin Dr. Helena Obendiek ist Co-Direktorin des 2018 neu gegründeten China-Zentrums der Konstanzer Hochschule für Wirtschaft und Politik (HTWG). Sie führte unter dem Titel „Die 900 Milliarden Dollar-Frage - Chinas neue Seidenstraßen-Initiative“ in das vielschichtige Thema ein. Im englischen Sprachraum firmiert die Initiative unter dem Begriff „Belt and Road Initiative“ (Gürtel und Straßen Initiative - BRI). Denn nicht nur der Bau von Straßen, sondern auch von Seewegen, von Kraftwerken, Häfen etc. beinhaltet das chinesische Großprojekt. „Es soll zu einer verbesserten Konnektivität, also Verbindung zwischen Asien und Europa führen und die Globalisierung des Handels fördern“, erklärte Opendiek. Dafür nimmt die Volksrepublik gewaltige Summen in die Hand, so seien rund 1 Billion Dollar an Investitionen geplant. Das vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping 2013 verkündete Konzept ist ein Prestigeprojekt, das verschiedenen Zwecken dienen soll. Der BRI liegt kein ausgefeilter Plan zugrunde, sondern eine Vision des Austauschs von Waren, Ideen und Kulturgütern, die pragmatisch umgesetzt werden und eine Win-Win-Situation für alle beteiligten Länder mit sich bringen soll.
Im Wesentlichen gehe es darum, verschiedene Wirtschaftskorridore einzurichten, die Transportwege zu verbessern, die allgemeine Infrastruktur auszubauen und die wirtschaftliche Entwicklung und Kooperation unter dem Markennamen „Belt and Road Initiative“ weiter voranzutreiben. China verfolge damit vor allem wirtschaftliche, strategische und geopolitische Motive, die die eigene Position nach innen und außen stärken und China als alternative Weltmacht zur USA etablieren sollen. Positiv bewertete Opendiek das Investment in bisher vernachlässigte Regionen der Welt, deren Infrastruktur verbessert und wirtschaftliche Entwicklung gefördert werde. Außerdem nannte sie verkürzte Transportwege und den kulturellen Austausch. Negativ bewertete die Sinologin die von China betriebene Schuldenfallen-Diplomatie, die Länder wirtschaftlich abhängig mache, die Intransparenz der Ausschreibungen, die vorwiegend chinesische Staatsunternehmen bevorzuge, und die fehlenden Menschenrechtsstandards. Opendiek betonte: „Das Zentrum der Wirtschaft wird sich weiter nach Asien und China verschieben.“
Dr. Uwe Böhm, Geschäftsführer, Leiter Geschäftsfeld International, der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee und Honorarprofessor der HTWG Konstanz, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage, welche Bedeutung die BRI für die deutsche Wirtschaft hat. China betreibe als langfristiges Ziel eine Geoökonomie statt einer Geopolitik, so Böhm. Dass 60 Prozent der Weltbevölkerung in der BRI vereint und 75 % der weltweiten Energiereserven im Spiel seien, zeige die ungeheure wirtschaftliche Bedeutung der Initiative. Absatzprobleme und Überkapazitäten zwingen die Chinesen, andere Märkte zu erschließen, deshalb habe sich die Regierung auch den Freihandel auf die Fahnen geschrieben. „Wer die technologische Entwicklung bestimmt, bestimmt die Standards und Normen“, betonte Uwe Böhm. Europas Problem sei die Uneinigkeit, wie man China entgegentreten soll. Griechenland und Italien, Polen und auch kürzlich die Schweiz haben Verträge mit China unterschrieben, Deutschland und andere westeuropäische Länder zögern, ebenso wie auch asiatische Staaten wie Vietnam. Finanzielle, soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen sind zu bedenken. Fakt sei jedoch, dass China momentan das zweitwichtigste Exportland für die deutsche Wirtschaft und bald auch die Nummer 1 ist. „Ohne China geht nichts mehr“, gab Böhm zu bedenken. China ist zum Wettbewerber geworden, der selbst allerdings nicht die guten wirtschaftlichen Zugänge zum heimischen Markt bereitstelle, die die Volksrepublik umgekehrt fordere. So sei es weiter wichtig, auf die Einhaltung internationaler Standards zu drängen.
Der Historiker Dr. Daniel Schumacher, Schloss Gaienhofen und University of Essex, beleuchtete in seinem Referat „Ein Weg zu Frieden und Kooperation?“ die kulturellen Aspekte der Neuen Seidenstraße. Insbesondere legte er den Fokus darauf, wie die chinesische Führung eine Herkunftsgeschichte konstruiert, die der Neuen Seidenstraßen-Initiative neben der wirtschaftlichen auch eine kulturelle Perspektive geben soll. Staatspräsident Xi Jinping erwähnte in seiner Rede auf dem 1. Gipfel 2017 die historische Figur Zheng He. Als Handelsbotschafter sei der Admiral Zheng He bereits im 15. Jahrhundert für Freundschaft, Frieden und eine bessere Kooperation zwischen China und den Nachbarstaaten eingetreten. Genau das also, was China heute mit der BRI wieder verwirklichen wolle. Ein genauerer historischer Blick ergebe jedoch, dass Zheng He keineswegs in friedlicher, sondern in politisch-diplomatischer Mission unterwegs gewesen sei, um den Machtanspruch des Kaisers zu manifestieren, so Schuhmacher. Seerouten wurden gesichert und Tributzahlungen eingefordert. Die Nachfolger des Kaisers gaben jedoch die Rolle als Seemacht wieder auf, die Chance Chinas, globale Macht zu werden, wurde verpasst, so die chinesische Sicht. Die Figur Zheng He im Rückblick als Beispiel für eine friedlich-wirtschaftliche Kooperation zu verankern, komme auch nicht in ganz Asien an. Sri Lanka, das als Ceylon von Zheng He erobert wurde, ächzt unter den Schulden, die die BRI generiert hat. Xi Jinping setzt heute deshalb den verbalen Schwerpunkt eher auf eine „grüne und saubere“ Entwicklung der BRI. Dies nicht zuletzt, um sich ein besseres Image zu geben. In der Fragerunde am Schluss wurde auch Laos als ein Beispiel genannt. Die Bevölkerung lehne die BRI ab, da ökologischer Raubbau und Landenteignung die Folge seien. Chancen und Risiken der Neuen Seidenstraße werden, je nach Kontext, äußerst unterschiedlich bewertet, so das Fazit der Referenten.